Zur Aufführung der Bach’schen Johannespassion am 2.4.2010 in St. Jacobi zu Hamburg in der Fassung von Robert Schumann (1851 in Düsseldorf )

Ein Beitrag von KMD Rudolf Kelber

Robert Schumann und Bachs Johannespassion


Robert Schumann schätzte die Johannespassion besonders und stellte sie über die größer besetzte und in der 1. Hälfte des 19. Jh. bereits bekanntere Matthäuspassion. 1842 hatte er die Johannespassion kennengelernt, kurze Zeit später wurde er als Redakteur der Neuen Zeitschrift für Musik aktiv. Er ließ - verteilt über sieben Hefte - seinen Mitarbeiter Eduard Krüger einen profunden Artikel verfassen, der die beiden Passionen einem Vergleich unterzog, Schumanns besondere Hochschätzung der Johannespassion beruhte nicht so sehr auf Aufführungserfolgen - die erste Wiederaufführung der Berliner Singakademie unter Rungenhagen 1833 war kein großer Publikumserfolg gewesen - als auf dem Partiturstudium. Aus mehreren Briefen spricht Begeisterung: „kennen Sie die Bachsche Johannes-Passion, die so genannte kleine? Finden Sie sie nicht auch um Vieles kühner, gewaltiger, poetischer als die nach Matthäus. Mir scheint die letztere um 5-6 Jahre früher geschrieben, nicht ohne Breiten, und dann überhaupt über das Maß lang – die andere dagegen wie gedrängt, wir durchaus genial, namentlich in den Chören, und von welcher Kunst?“ - so schrieb er an den Hamburger Musikdirektor Georg Dietrich Otten. In Sachen Chronologie irrte Schumann hier; auch wenn über den Zeitpunkt der Uraufführung der Matthäus-Passion keine letzte Klarheit besteht, so wissen wir doch, dass die Johannes-Passion mindestens drei Jahre früher entstand. Die Begeisterung für die Faktur der Chöre ist dem erkennbar höheren Grad an Komplexion geschuldet, der die Führung der Chorstimmen in der Johannespassion auszeichnet.

Als Schumann im Mai 1848 in Dresden einen eigenen gemischten Chorgesangverein gegründet hatte, entwickelten sich Choräle und Chöre der Johannespassion zu einem Repertoireschwerpunkt. Als er das Angebot erhält als Musikdirektor nach Düsseldorf zu kommen, ist sein erstes Hauptprojekt die Aufführung der dort bis dahin niemals aufgeführten Johannespassion.

Die Aufführung 1851

Die Quellenlage zur Aufführung 1851 in Düsseldorf ist nicht so gut wie bei Mendelssohns Wiederaufführungen der Matthäuspassion. Sicher, man kann einige Änderungen der Instrumentation aus dem Schumannschen Handexemplar der Partitur (in Zwickau im Schumannhaus aufbewahrt) entnehmen. Leider ist der von Clara Schumann verwendete Klavierauszug nicht erhalten. Er könnte über die Begleitung der Rezitative Genaueres mitteilen. Über die Kürzungen gibt das Programmheft von 1851 und über die zusätzliche jähe Streichung der beiden Bass-Arien mit Chor der Briefwechsel mit dem Bariton-Solisten Auskunft. Als sicher kann angenommen werden, dass Schumann das Klavier nur bei den secco-Rezitativen verwendet hat und nicht mehr als Continuo-Instrument bei Arien und Chören. Hier hat er, der Bearbeitungspraxis des 19. Jh. folgend, an den Stellen, wo das Continuo die offene Basslinie deckt, den hinzugefügten Klarinetten Füllstimmen anvertraut.

Konsequenzen für einen heutigen Aufführungsversuch

Hier stellt sich die Frage, ob eine Rekonstruktion den von Schumann gewünschten Umfang oder die aufgrund der Unbilden entstandene Realität rekonstruieren soll. Wir werden am 2. April in St. Jacobi die beiden Bassarien aufführen. Damit nicht eine reine Stilparodie entsteht, wurden flankierende Sekundärquellen befragt. z.B. die Schumann’schen Klavierbegleitungen zu Bachs Solosuiten, Klavierstücke im alten Stil und ähnliche Zeugnisse des enormen Einflusses, den Johann Sebastian Bach auf die Komponisten des 19. Jahrhunderts ausgeübt hat. Aber ein Klavier des 19. Jahrhunderts statt Cembalo, eine Klarinette statt Englischhorn macht noch keine schlüssige Interpretation aus dem Geiste des 19. Jahrhunderts. Für viele Einzelheiten ist man doch auf das Gefühl angewiesen, für anderes, z. B. das Choraltempo gibt es relativ verlässliche Anhaltspunkte. Nach getreulicher Applikation aller dieser Einzelheiten kann man auf das Ergebnis gespannt sein. Oder ist die in die Interpretation einbezogene Interpretationsgeschichte nur postmoderne Spielerei mit Beliebigkeiten?